Burkini, Burka, Bikini?

Nachdem die Debatte über männliche Flüchtlinge muslimischen Glaubens als potentielle Vergewaltiger und IS-Terroristen gottlob gerade ein wenig abebbt, wird heftig über ein Burka-Verbot und zu viel Stoff bei der Badebekleidung muslimischer Frauen gestritten. Geht’s noch?

Die Debatte, so die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz in einem trefflichen Beitrag, zeige eine Form der Islamophobie, die gerade besonders populär sei: „Ängste werden geschürt, indem Gefahren diskutiert werden, die es eigentlich gar nicht gibt.“ Ein Burka-Verbot würde wahrscheinlich gerade mal 0,002 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland betreffen. Deutschland habe weit wichtigere gesellschaftliche Probleme, als diesen Streit zu lösen („Verbot als Befreiung?“, Süddeutsche Zeitung 31.08.2016).

Was die Frage der Badebekleidung anbetrifft, war mir anfangs angesichts der Absurdität der Debatte schier zum Lachen zumute, wenn nicht die Folge davon schlimmste Angriffe auf die gerade von den Verbotsbefürwortern so heftig verfochtene Selbstbestimmung der Frau wären, wie an der Côte d’Azur und anderenorts geschehen.

Das Magazin STERN hat in seiner Ausgabe vom 18. August 2016 mit der Reportage „Allahs Töchter in Deutschland“ etwas Bahnbrechendes getan und Muslima für ein breites Publikum selbst zu Wort kommen lassen. Sie sprechen über sich, was sie denken, was sie erfahren, über ihren Weg, Erfolgsstories, ihre Pläne. Was sie bei aller Verschiedenheit allesamt nervt, egal ob Kopftuchträgerin oder nicht, ist immer nur über ihren Glauben und über ein Stück Stoff definiert zu werden: als unterdrückt, ungebildet, nicht integriert.

Die Realität ist eine andere, und das zeigen nicht nur die Stimmen der Muslima im STERN:

Eine Befragung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge unter im Jahr 2015 registrierten Asylbewerbern mit hohen Bleibeaussichten ergab einen besonders hohen Bildungsstand unter Flüchtlingen aus den – muslimisch geprägten – Herkunftsländern Syrien und Iran, nicht nur unter Männern sondern auch bei Frauen: Fast die Hälfte der syrischen weiblichen Flüchtlinge hatten in ihrem Heimatland ein Gymnasium oder eine Hochschule besucht (49,2 Prozent, zum Vergleich Männer: 54,7 Prozent). Bei den Iranerinnen sind es sogar mehr als drei Viertel (76,1 Prozent; zum Vergleich Männer: 75,5 Prozent). Die Studie zeigt allerdings eine große Polarisierung am oberen und unteren Bildungsrand, geschuldet jedoch weniger der Religion oder dem Geschlecht als der generellen Bildungssituation im jeweiligen Herkunftsland.

Größere Unterschiede nach Geschlecht ergeben sich bei der Frage nach der Berufserfahrung: Ungefähr ein Drittel der volljährigen Frauen aller Herkunftsländer, aber drei Viertel der Männer waren vor ihrer Flucht erwerbstätig gewesen. Auch hier bilden übrigens aus dem Iran geflüchtete Frauen die große Ausnahme. (BAMF Kurzanalyse 03/2016: Asylerstantragssteller in Deutschland im Jahr 2015: Sozialstruktur, Qualifikationsniveau und Berufstätigkeit)

Zu ähnlichen Ergebnissen kam bereits Anfang des Jahres eine Studie des Arbeitsmarktservice Österreich. (Kompetenzcheck Flüchtlinge Arbeitsmarktservice Österreich Januar 2016)

Beide Studien machen deutlich, wie wenig hilfreich ein mit Islamstereotypen gepaarter Täter- und Opferblick und umgekehrt, wie wichtig ein Gender- und umfassender Diversity-Blick für gezielte Förder- und Integrationsmaßnahmen ist.

Integration gelingt nur, wenn auch die Schleier vor den eigenen Augen abgelegt werden und der Blick für Menschen in ihrer Vielfalt sich auch in diesen Fragen respektvoll öffnet.

 

3 Kommentare zu Burkini, Burka, Bikini?

  1. hi Sissi!
    Danke für den Blogeintrag.
    Am meisten ärgert mich die Verlogenheit, mit der das angestrebte Verbot zunächst an das Thema „Innere Sicherheit“ geknüpft worden war und mit diesem Argument dafür geworben wurde … Inzwischen haben sogar Politiker der CDU/CSU zugegeben, dass das Verbot absolut nichts mit Sicherheit zu tun hat.

  2. 0,002 Prozent der Bevölkerung würde das Burkaverbot treffen .. und wie viele überflüssige Abend füllende Diskussionen werden zu diesem Thema geführt.

    Wenn wir Burkaträgerinnen häufiger sehen wollen, müssen wir nur in Krankenhäuser und Kurkliniken gehen. Da gibt es oft ganze Abteilungen für unsere arabischen Gäste mit ihrer landesüblichen Kleidung. Jede Klink heißt sie willkommen.
    In Großstädten treffen wir auf arabische Gäste in teuren Einkaufsvierteln.

    Wollen wir auf diesen Wirtschaftsfaktor wirklich verzichten?

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