#MeToo-Debatte als Chance für einen neuen Geschlechtervertrag

Nein, es geht bei #MeToo nicht um „Frauen gegen Männer“. Es will auch „niemand das Flirten untersagen“, so Carolin Emcke am 21.01.2018 im Deutschlandfunk. Es geht um „Beispiele für ‚eklatanten Machtmissbrauch‘, von Demütigung über Ausbeutung bis hin zu sexueller Gewalt“. Letztendlich geht es also um Machtverhältnisse und deren Veränderung. 

Es sind mutige Frauen, die ihre Stimme erheben und beileibe nicht in der Opferrolle verharren.  Frauen, die über ihren eigenen Fall hinausschauen und über kulturelle Unterschiede hinweg solidarische Netzwerke aufbauen.

Ein schönes Beispiel dafür ist die „Time’s Up“ („Die Zeit ist vorbei“)-Initiative von Top-Frauen in Hollywood, die sich mit tatkräftiger Unterstützung mit Frauen am anderen Ende der Einkommensskala – Fabrikarbeiterinnen und Hausangestellten, Beschäftigten in Landwirtschaft und Gastronomie – verbünden für den gemeinsamen Widerstand gegen jegliche Form sexueller Belästigung und Diskriminierung in der Arbeitswelt .

Auch in der hiesigen #MeToo-Debatte wird deutlich, dass sexuelle Belästigung und Nötigung nur die Spitze eines Eisbergs sind.

Es ist ja nicht so, dass die Aktivistinnen zwischen einer strafbaren Vergewaltigung auf der Besetzungscouch und einem Kompliment für schöne Augen im Vorstellungsgespräch nicht unterscheiden könnten. Aber in beiden Fällen geht es um Machtmissbrauch, und erst wenn man alles zusammen betrachtet, werden die strukturellen Ungleichheiten klar, die nun endlich komplett gekippt werden sollen.(Vera Schröder, MeToo als Generationendebatte – Jüngere und ältere Frauen müssen zusammen halten, Süddeutsche Zeitung 13.11.2017)

In der #MeToo-Debatte manifestiert sich ein gestiegenes Selbstbewusstsein, besonders unter jüngeren Frauen. Dieses neue Bewusstsein zeige sich auch darin, dass sie dem Rat mancher älterer Kolleginnen, kleinere Grenzverletzungen lieber nicht anzusprechen, nicht mehr folgen wollen. Denn die Welt, so Vera Schröder weiter, hat sich geändert.

Gut ausgebildete Frauen heute starten unter anderen Voraussetzungen in den Beruf. Egal, wie groß die Lohnunterschiede immer noch sind, sie wissen: Sie werden gebraucht. Das sagt die Wirtschaft, das sagt das Gebot der Vielfalt in einer globalisierten Welt, das sagt der Menschenverstand, die Frauenquote und vielleicht sogar der Chef selbst. Daraus leiten junge Frauen ganz neue Forderungen ab, unter welchen Bedingungen sie arbeiten möchten. Sie möchten sich nicht mehr einer patriarchalen Arbeitskultur bestmöglich anpassen, sondern – als nächsten (riesigen) Schritt der Emanzipation – diese patriarchale Arbeitskultur komplett abschaffen.

Wie weiter

Die Verantwortung für den Wandel darf nicht auf den Schultern von Frauen abgeladen werden, auch wenn sie eine wichtige Stimme in der Veränderungsdebatte sind und sie verstärkt gehört werden müssen – nicht nur bei der Verfolgung strafrechtlich relevanter Fälle.

Es braucht strukturelle Veränderungen. Mehr Frauen in mächtigen Schaltstellen und Führungspositionen ist das Eine. Das Andere ist der Einsatz für eine Null-Toleranz-Kultur gegenüber sexueller Belästigung und Nötigung, aber auch gegenüber herabsetzenden Sprüchen und jeglicher Form immaterieller wie materieller Zurücksetzung. Hier sind mächtige Männer – in Unternehmen, in Politik und überall – gefragt!

Zugleich braucht es eine offene Debatte zwischen Frauen und Männern. Zu den Schwierigkeiten, eine solche Diskussion in Gang zu bringen, aber auch den Denk- und Veränderungsprozessen, die eine persönliche Ansprache sexistischer Praktiken bewirken kann, hat Emilia Smechowski für die jüngste Ausgabe des SZ-Magazins einen Mut machenden Beitrag geschrieben (Nicht mehr mit mir, SZ Magazin 26.01.2018).

Damit die Debatte zu einer erfolgreichen, die Gesellschaft verändernden Bewegung wird, braucht es ein gemeinsames Ziel. Hier schlägt die SZ Journalistin Susan Vahabzadeh in ihren jüngsten Überlegungen zur Zukunft der #MeToo-Bewegung einen Geschlechtervertrag vor, als fiktiven Vertrag ähnlich dem Generationenvertrag.

Nur der Dialog könne dabei helfen herauszufinden, was das im Detail bedeutet. Damit es gelingt, braucht es neue Diskussions-Räume, über die Anonymität der digitalen Welt hinaus, und vor allem die Bereitschaft, einander zu zuhören. Denn, so Vahabzadeh weiter:

Jammernde Frauen und Männer, die keine Fehler machen – das ist kein Modell für eine neue Welt. 

Damit würden zugleich Befürchtungen, in der Debatte in alte Klischees abzurutschen, entkräftet und nicht zuletzt gegen die Gefahr einer Spaltung der Bewegung ein positives und vereinendes Signal gesetzt.

Susan Vahabzadeh gibt mit ihren Überlegungen wertvolle Denkanstöße nicht nur für die gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung des Themas, sondern auch für Unternehmen und Organisationen, die sich dessen verstärkt annehmen müssen oder – noch besser – wollen.

Time’s up – let’s go!

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