Grundlegendes zur Chancengleichheit durch Personalpolitik

Foto: Sissi Banos

Im Frühjahr erschien im Springer Gabler Verlag „Gender und Diversity in Organisationen. Grundlegendes zur Chancengleichheit durch Personalpolitik“. Das neue Standardwerk der leider viel zu früh verstorbenen Gertraude Krell und mit Renate Ortlieb und Barbara Sieben als weiteren Autorinnen, ist allen am Thema Interessierten, Forschenden, Studierenden und PraktikerInnen, nur zu empfehlen. Auf nicht einmal 90 Seiten, flott und selbst im Urlaubsmodus zu lesen, bietet es theoretisches Rüstzeug für die praktische Gestaltung einer an Chancengleichheit orientierten Personalpolitik wie auch für die weitere Forschung.

Es brauchte dieses Buch.

Es räumt auf mit allzu naiven Verständnissen von Gender und Diversity, die meinen, wenn alles nur schön bunt ist, läuft der Rest von selber. Ausgangs- und Ansatzpunkt der Autorinnen ist, dass es immer auch um Dominanzverhältnisse geht – um interessengeleitete Wahrnehmungs- und Aushandlungsprozesse und letztendlich um das Erkennen und den Abbau von offensichtlichen und, wenn oft auch nicht intendierten indirekten Benachteiligungen. (Sehr schön die kompakte Darstellung soziologischer Erklärungsansätze  – im Diversity-Diskurs oder von Konzepten wie dem Token-Effekt, Gendered Organizations oder unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung.)

Es räumt auf mit allzu pauschalierenden Verständnissen von Gender und Diversity, die trotz guten Willens leicht zum Gegenteil dessen führen können, was erwünscht ist – etwa in der Verkürzung des Blicks auf nur einige wenige oder auch nur eine Dimension von Diversity und dem damit verbundenen Ausblenden weiterer Vielfalts- und Diskriminierungsaspekte.

Ausführlich behandeln die Autorinnen das „Paradox of Diversity“ (Krell) – die Gefahren und den Nutzen von „Schubladen“:

Die Gefahr, Zuschreibungen zu zementieren anstatt sie zu überwinden, wie sie beispielsweise in der Betonung „weiblicher Kompetenzen“ oder eines „weiblichen Führungsstils“ zu tragen kommt:

Wenn alte Stereotype und Vorurteile wie „Frauen führen schlechter“ durch neue wie „Frauen führen besser“ ersetzt werden, dann werden damit nicht nur weibliche Führung(nachwuchs)kräfte, sondern auch Personalverantwortliche in eine ‚Geschlechterfalle’ gelockt. Für erstere ist dieses Argument zur Erhöhung des Frauenanteiles in Führungspositionen mit Zusatzanforderungen bzw. –erwartungen verbunden, deren Nicht-Erfüllung schon fast vorprogrammiert ist. Hinzu kommt die Stigmatisierung oder Ausgrenzung von Frauen, die nicht den Vorstellungen von Weiblichkeit und weiblicher Führung entsprechend wahrgenommen werden, sondern die als ‚unweiblich’ bzw. ‚wie ein Mann’ angesehen werden.

Die Autorinnen plädieren für einen ‚ganzheitlichen Diversity-Ansatz’, mit dem „sowohl allen relevanten Diversity-Dimensionen Aufmerksamkeit geschenkt wird als auch den vielfältigen Verschränkungen von Kategorisierungen und nicht zuletzt der individuellen Vielfalt. Das bedeutet nicht jede(n) in eine Zugehörigkeits-Schublade zu stecken, sondern Intersektionalität oder Interdependenzen ebenso wie Vielfalt innerhalb von Gruppen zu berücksichtigen.“

Zugleich halten sie die Thematisierung einzelner Diversity-Dimensionen als gleichstellungspolitisch handlungsrelevante Kategorien für unbedingt erforderlich. In diesem Zusammenhang sprechen sich die Autorinnen auch für eine stärkere Berücksichtigung der Dimension der sozialen Herkunft aus wie für einen durchgehenden Gender-Blick in allen Diversity-Dimensionen.

Das Schöne an diesem Buch ist, dass die Autorinnen nie in ein ‚Entweder–oder’ oder selbst in ein ‚Schubladendenken’ verfallen.

Dies zeigt nicht nur ihr Plädoyer für einen ganzheitlichen Diversity-Ansatz, sondern auch ein weiteres Kapitel, das sich mit den Wettbewerbsvorteilen von mehr Chancengleichheit befasst.

Auch hier geht es den Autorinnen darum zu ergründen, was hilfreich ist, wie auch zu kurz greifende, etwa erneut stereoypisierende oder Ungleichheit verfestigende Argumente darzustellen.

Sie machen deutlich, dass auch Wettbewerbsvorteile „sich nicht allein durch ‚mehr Frauen’ oder ‚mehr Vielfalt’, und schon gar nicht durch die ‚spezifischen Potenziale’ bestimmter Beschäftigten gruppen realisieren … . Vielmehr bedarf es spezieller Gender- und Diversity-Konzepte, mittels derer die Personalpolitik sowie letztlich die gesamte Kultur der jeweiligen Organisation dahingehend (um-)gestaltet werden, dass Chancengleichheit für alle Beschäftigten herrscht.“ Auch bei der Suche nach Wettbewerbsvorteilen sei es unumgänglich, sich mit ethisch-moralischen Fragen auseinanderzusetzen.

Zugleich wenden sich die Autorinnen gegen konfrontativ vorgenommene Grenzziehungen à la „Wettbewerbsvorteile vs. Antidiskriminierung“. Auch wenn sie ökonomische Ziele im Zusammenhang mit Gender und Diversity grundsätzlich als weniger bedeutsam erachten als soziale, halten sie Wettbewerbsvorteile, die eine an Chancengleichheit orientierte Personalpolitik ermöglicht, für ein besonders wichtiges Thema – als möglicher „Türöffner“, um SkeptikerInnen von gleichstellungspolitischen Zielen zu überzeugen und dazu zu bringen, entsprechende Maßnahmen mitzutragen.

Ihr für die Diskussion und Praxis so hilfreicher ‚undogmatische’ Ansatz zeigt sich auch im letzten Kapitel des Buches, das sich mit verschiedenen Gender- bzw. Diversity bezogenen Konzepten und deren praktischen Umsetzung befasst. Auch hier geht es den Autorinnen nicht um das einzig wahre Konzept, sondern wichtig war und ist ihnen das Ziel, die Geschlechter- und Vielfaltsgerechtigkeit.

Es ist zu hoffen, dass diese wichtige Neuerscheinung, die bereits nachgedruckt werden musste (herzlichen Glückwunsch an die Autorinnen!), weiter den Weg in die Bücherregale vieler zum Thema Aktiven findet – Personalverantwortliche, Gleichstellungs- und Diversitybeauftragte, Betriebs- und Personalräte und andere, die eine betriebliche Chancengleichheitspolitik begründen und umsetzen wollen, als auch an Studierende, Lehrende und Forschende.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.